"Deutschland ist unser Sorgenkind" "Das ist nicht vertretbar", finden die Schweizer - und wollen der DB helfen

FOCUS-online-Autorin Anais-Sophie Bockholt

Donnerstag, 04.01.2024, 12:05

Die Deutsche Bahn hat ein massives Pünktlichkeitsproblem und leidet unter einer maroden Infrastruktur. Die Schweiz, bekannt für ihre Zuverlässigkeit, hat Mitleid mit den gestressten deutschen Fahrgästen. Und bietet an, die DB zu beraten.

IMAGO/Arnulf Hettrich Hauptbahnhof Stuttgart.

"Ihr wollt eine Bahn, die besser funktioniert. Das wollen wir auch". In einer aktuellen Imagekampagne auf Social Media legt die Deutsche Bahn ein trauriges Schuldbekenntnis ab - und bittet ihre Fahrgäste um Verständnis für das Chaos auf den Schienen.

Zu Recht. Das Unternehmen verzeichnete zum Jahresende 2023 die schlechteste Pünktlichkeitsbilanz seit acht Jahren. Rund 75 Prozent der Fernzüge wurden auf ihrem Weg ausgebremst. Der häufigste Grund: die vielen Baustellen auf den maroden Strecken.

"Deutschland ist unser Sorgenkind"

Die Schweizer Bahn, Vorbild in Sachen Pünktlichkeit, bietet der DB jetzt ihren Rat an. Denn die Unpünktlichkeit der deutschen Züge stört auch den grenzüberschreitenden Bahnverkehr: "Deutschland ist unser Sorgenkind", klagt Peter Füglistaler, Direktor des Schweizer Bundesamtes für Verkehr in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.

Mittlerweile sei jeder zweite Zug aus Deutschland unpünktlich. "Das ist aus unserer Sicht nicht vertretbar", so Füglistaler. "Eine Bahn muss einfach 85 bis 90 Prozent pünktlich sein."

Um dieses Ziel zu erfüllen, musste die Zahl der grenzüberschreitenden Verbindungen aus Deutschland bereits reduziert werden. Haben deutsche Züge mehr als 15 Minuten Verspätung, endet die Fahrt in Basel.

Hier setzt die Schweizerische Bundesbahn (SBB) eigene Züge ein, die ab der Grenze pünktlich weiterfahren. Reisende in verspäteten Zügen müssen umsteigen und den nächsten Zug nehmen. Die Pünktlichkeitsquote der SBB liegt bei erstaunlichen 92,5 Prozent, wobei ein Zug ab drei Minuten Verspätung als unpünktlich gilt. Zum Vergleich: Bei der DB sind es satte sechs Minuten.

Im Januar ist nun ein Treffen geplant, bei dem die zahlreichen Missstände diskutiert werden sollen: "Wie finanziere ich die Infrastruktur? Was sind die Kriterien, an die sich das Management zu halten hat, damit Pünktlichkeit, Sicherheit, Sauberkeit höher werden? Das sind Elemente, über die wir im Austausch stehen", so Füglistaler.

Das läuft besser in der Schweiz

Die Schweiz habe 30 Jahre früher als Deutschland mit diesem Vorhaben begonnen. Dort stehe bei der Schieneninfrastruktur nicht der Profit im Vordergrund, sondern ein "hoher Nutzen für Wirtschaft und Gesellschaft".

Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor: Geld. Im Jahr 2022 investierte die Schweizer Regierung rund 450 Euro pro Kopf in die Schieneninfrastruktur, Deutschland nur 114 Euro - weniger als viele Nachbarländer. "Ein gutes Bahnsystem kostet Geld, aber es wird auch besser genutzt", sagt Füglistaler.

Fakt ist aber auch: Als kleines und wohlhabendes Land verfügt der Alpenstaat im Vergleich zu Deutschland über weniger ausgedehnte und lange Eisenbahnstrecken. Das System ist daher weniger komplex. Die Schweiz ist ungefähr so groß wie Baden-Württemberg, profitiert also von einem kleineren Staatsgebiet. Das führt zu kürzeren Zugstrecken und geringeren Verspätungen im öffentlichen Verkehr.

Natürlich habe Deutschland andere Dimensionen, dort würden beispielsweise Hochgeschwindigkeitszüge mehr Sinn machen, so Füglistaler. "Aber 250 Kilometer in der Stunde würden vielleicht reichen, es müssen nicht 360 Kilometer in der Stunde sein. Ein ICE mit 360 ist attraktiv für wenige. Ein Doppelstockzug mit 250, der oft und pünktlich fährt, ist attraktiv für viele."

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Österreichische Bundesbahn: "Die Fahrgäste sind sauer - und das völlig zu Recht"

Klar ist: Es muss sich dringend etwas ändern. Erst Mitte Dezember musste die DB ungewöhnlich scharfe Kritik des süddeutschen Bahnbetreibers Go-Ahead, Tochter der Österreichischen Bundesbahnen ÖBB, einstecken. Go-Ahead fährt in Baden-Württemberg und Bayern regionalen Zugverkehr auf den Gleisen der Deutschen Bahn.

Geschäftsführer Fabian Amini hatte erklärt, Bauarbeiten an der "heruntergekommenen Infrastruktur" würden von der DB Netz schlecht geplant, schlecht koordiniert und zu spät bekanntgegeben. "Die Fahrgäste sind sauer - und das völlig zu Recht", so Amini.

Die geplante Generalsanierung der Infrastruktur zur Verbesserung des Schienennetzes scheint nicht nur schlecht organisiert zu sein, sondern steht wegen der angespannten Haushaltslage nun auch noch auf der Kippe: Ende November hatte die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) vor einem möglichen Kollaps der Bahn gewarnt.

Der EVG-Vorsitzende Martin Burkert betonte gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", ohne die geplanten Milliardeninvestitionen in die Schieneninfrastruktur stehe die "Generalsanierung am Abgrund.

Schweizer Verkehrsdirektor appelliert an Deutsche: "Ertragt es, es wird besser"

Gleichzeitig zeichnet sich die nächste Eskalationsstufe im Tarifkonflikt bei der Bahn ab: Bereits in der kommenden Woche könnte es laut GDL-Chef Claus Weselsky zu einem drei- bis fünftägigen Warnstreik der Lokführergewerkschaft und damit zu einem erneuten Stillstand auf den Schienen kommen - zum Leidwesen von Millionen Bahnreisenden.

Trotz aller Schwierigkeiten bleibt der Schweizer Verkehrsdirektor Peter Füglistaler optimistisch: "Gebt die Hoffnung nicht auf!", appelliert er an die deutschen Fahrgäste. "Bleibt bei der Bahn, ertragt es, es wird besser. Aber es dauert."


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